Einladung zum Tee
Ich danke euch für eure lieben und netten Kommentare. Darum möchte ich euch heute auf eine Tasse Tee einladen. Dazu gibt´s wieder eine kleine Geschichte! Ich glaube ihr kennt sie, aber ich finde sie so schön, dass ich sie euch erzählen möchte.
Möchtet ihr ein Stück Zucker...oder zwei...?
Also, dann lehnt euch zurück, genießt die Tasse Tee und hört lest zu....
In einem Hafen an der westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüner See mit friedlich schneeweißen Wellenkämme, schwarzes Boot, rote Fischermütze.
Klick. Noch einmal: Klick, und da aller guten Dinge drei sind, ein drittes Mal: Klick.
Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seine Zigarettenschachtel angelt, aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt, aber in die Hand gelegt und ein viertes Klick, das des Feuerzeuges, schließt die eilfertige Höflichkeit ab.
Durch jenes kaum messbare, nie nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit ist eine gereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist - der Landsprache mächtig- durch ein Gespräch zu überbrücken versucht.
" Sie werden heute einen guten Fang machen."
Kopfschütteln des Fischers.
"Aber man hat mir gesagt, dass das Wetter günstig ist."
Kopfnicken des Fischers.
"Sie werden also nicht ausfahren?"
Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Gewiss liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpasste Gelegenheit.
"Oh, Sie fühlen sich nicht wohl?"
Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über.
"Ich fühle mich großartig", sagt er."Ich habe mich nie besser gefühlt."
Er steht auf, reckt sich, als wollte er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist.
"Ich fühle mich phantastisch."
Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht:
"Aber warum fahren Sie dann nicht aus?"
Die Antwort kommt promt und knapp.
"Weil ich heute morgen schon ausgefahren bin."
"War der Fang gut?"
"Er war so gut, dass ich nicht noch einmal ausfahren brauche, ich habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen..."
Der Fischer, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Touristen beruhigend auf die Schulter. Dessen besorgter Gesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis.
"Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug", sagt er, um des Fremden Seele zu erleichtern.
"Rauchen sie eine von meinen?"
"Ja, danke."
Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der Fremde setzt sich kopfschüttelnd auf den Bootsrand, lebt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen.
"Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen", sagt er,"aber stellen Sie sich mal vor, sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus und Sie würden drei, vier, fünf, vielleicht gar zehn Dutzend Makrelen fangen...stellen Sie sich das mal vor."
Der Fischer nickt.
"Sie würden", fährt der Tourist fort,"nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht viermal ausfahren- wissen Sie, was geschehen würde?"
Der Fischer schüttelt den Kopf.
"Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen - eines Tages würden Sie zwei Kutter haben, Sie würden...", die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme,"Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme ausmachen und Ihren Kutter per Funk Anweisungen geben.
Sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann...", wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache.
Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen.
"Und dann", sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.
Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich verschluckt hat.
"Was dann?" fragt der Fischer leise.
"Dann", sagt der Fremde mit stiller Begeisterung,"dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrliche Meer blicken."
"Aber das tue ich ja schon jetzt", sagt der Fischer,"ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört."
Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig Neid.
(Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral von Heinrich Böll)
Ich hoffe, euch hat die Geschichte gefallen und mein Tee geschmeckt!
Nehmt euch die Geschichte ein wenig zu Herzen - ich tu´ es auch...
Euch alles Liebe ...
Karen
Liebe Karen,
AntwortenLöschenman kann auch mit ganz wenig glücklich sein und soll vor allem das Leben genießen!
Man muss nicht nach dem großen Geld gieren und immer mehr erreichen wollen.
Das allein macht am Ende auch nicht glücklich.
Danke für die nachdenklich machende Geschichte!
Ein schönes 4. Adventswochenende wünscht dir
Kristin
Eine ganz wunderbare Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Danke dafür.
AntwortenLöschenHerzlichst Ulla